Montag, 22. Juni 2020

Wer hat Lust mit mir zu philosophieren?


 2020-06-18 Mein Besuch im Centro de personas de privado de libertad CPPL (Carcel)
Durch die erzwungenen Besuche im Frauengefängnis von Quito, damals 2004/5, die nach dem Praktikum von Sina Kremers (Radunski) an mir hängen geblieben war, hatte ich einen Hang zu diesen Menschen. In Quito war ich damals einige Male Sonntagmorgen ins Gefängnis gegangen, um den Frauen zu begegnen. Von selbst wäre ich nicht auf die Idee gekommen, dort zu sein oder diese Menschen zu besuchen.
Als jetzt die Frage aufkam, wer geht ins Gefängnis, habe ich mich gleich gemeldet. Wir sollten die Immunproben für COVID 19 an 80 Leuten machen. Dr. Diego Guaranga und der Interno Pablo gingen mit. Ich dachte, erst sollte ICH die Proben machen, dann wurde vor Ort klar, dass Diego und Pablo abwechselnd die Untersuchungen und die Proben machten und ich die Leute begrüßte und aufschrieb.
Bei der Datenaufnahme fragte ich sie meist, wie lange sie schon hier seien, ob sie schon ihr Urteil bekommen hätten und was die Verurteilung ergeben hat. Oft konnte ich noch fragen, warum sie denn ins Gefängnis gekommen wären und bei vielen war die Antwort: es war ein Versehen, ich bin ja eigentlich ganz unschuldig hier.
Das brachte mich auf die Idee, dass wir als Menschen ganz generell jegliche Schuldzuweisung von uns abwehren. Wer nicht ganz „scrupuloso“ ist, wie Luther es früher formulierte, d.h. ein sehr enges Gewissen hat, der denkt doch von sich: also ein schlechter Mensch bin ich doch eigentlich nicht. Dabei übersehen wir, dass in uns allen die Leuchte Gottes wohnt, wir haben vom Lebensbeginn an, eine Ahnung, wer wir sein könnten. Und dann suchen wir den Teufel außerhalb von uns und merken gar nicht, dass er in uns ist. „Zwei Seelen schlummern ach in meiner Brust“ schrieb Johann Wolfgang von Goethe. Und Paulus beschreibt diesen Tatbestand sehr schön am Ende des 7. Kapitels des Römerbriefes. Mein Blick ist verstellt. Ich habe einen blinden Fleck, der die eigenen Fehler nicht wahrnehmen kann. Und bei manchen ist dieser Fleck ganz schön groß, bei anderen weniger.
Je mehr wir zulassen, dass wir von außen angeschaut und korrigiert werden, um so mehr verkleinert sich dieser blinde Fleck, aber da sein wird er wohl unser Leben lang. Das ist die Seite an uns, die den anderen Menschen in unserem Leben aufregt, zornig macht, ja zur Weißglut bringt. Immer wieder macht sie denselben Fehler, immer wieder ist sie zu spät - zu kleinlich - zu großzügig - zu ungenau. Unsere Ecken und Kanten müssen uns von anderen gesagt werden. Und dann hängt es immer noch an uns, was wir mit dieser Information machen. Wollen wir uns das sagen lassen, wollen wir uns wirklich ändern, oder ist es nicht viel bequemer, bei meinem Standpunkt zu bleiben?
Wenn ich einmal erlebt habe, was passiert, wenn ich mich für etwas entschuldige, was ich falsch gemacht habe, wenn ich es erkennen und zugeben kann, dann will ich nicht mehr hinter diese Erfahrung zurück. Wenn das schon bei uns Menschen so beglückend ist, wieviel mehr ist das im Verhältnis zu Gott. Wenn ich zu ihm zurück komme und mich in seine Arme werfe und zugebe, dass ich unfähig bin von mir aus nach seinem Standard zu leben, mache ich IHN glücklich und mich selber. 




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